KI Chatbots in der Suche

Was bedeutet das für SEO und was für Werbetreibende?

Über die gesellschaftlichen Folgen und moralische Fragen bezüglich des Aufkommens von KI-gestützten Chatbots wurden bereits viele interessante Artikel geschrieben und werden viele spannende Diskussionen geführt. In diesen wichtigen Kanon möchten wir an dieser Stelle nicht einsteigen. Wir wollen uns ganz pragmatisch mit den Auswirkungen auf eine Branche befassen, der wir selbst angehören und die mit ihren SEO-Rankings, Google-Sichtbarkeitsindexen oder PPC-Klickrates so relevant für unendlich viele Unternehmen, Unternehmer und Unternehmerinnen ist.

Die KI übernimmt den Laden

ChatGPT ist in aller Munde. Der von OpenAI entwickelte Chatbot ist nicht fehlerfrei, liefert aber auf noch so komplexe Fragestellungen mehr als beeindruckende Antworten. Inhaltlich, stilistisch, grammatikalisch. Egal ob diffizile Rechenaufgaben, philosophische Abhandlungen oder ganze Bachelor Arbeiten. Die in Sekunden produzierten Ergebnisse bringen selbst Fachexperten/innen zum Staunen.

Kein Wunder also, dass ChatGPT die am schnellsten wachsende App aller Zeiten ist. Laut einer Studie der Schweizer Großbank UBS konnte der Dienst von OpenAI Chef Sam Altman innerhalb von nur zwei Monaten mehr als 100 Millionen aktive Nutzer/innen weltweit verzeichnen.

Der Run auf den Chatbot war so groß, dass der öffentliche Zugriff zwischendurch eingeschränkt wurde und mittlerweile auch eine Bezahlversion für 20 $ pro Monat angeboten wird. Nur zum Vergleich: TikTok, die App, welche sich bisher mit dem größten Wachstum rühmen konnte, hat nicht zwei, sondern über neun Monate benötigt, um diese magische Grenze zu erreichen.

Google im Panikmodus, Microsoft greift an

Kurz nach dem Release von ChatGPT im Dezember 2022 setzte sich Alphabet-Chef Sundar Pichai unter anderem mit den Google Gründern Larry Page und Sergey Brin zusammen, um die offenbar als sehr groß eingeschätzte wirtschaftliche Bedrohung des Chatbots für die eigene Marke zu analysieren. Denn Suchmaschinen-Wettbewerber Microsoft hat das Potenzial von ChatGPT früh erkannt, ganze 10 Milliarden US-Dollar in dessen Entwicklung investiert und bläst nun zum Angriff.

Weiterentwicklung von ChatGPT in Edge & Bing

Schon am 7. Februar 2023, nur drei Monate nach dem Launch von ChatGPT, stellte Microsoft auf einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz die Integration des Chatbots im Edge-Browser sowie in der Suchmaschine von Bing vor. In der Version 4 ist die App mit dem „Large Language Model“ (LLM) angereichert worden und soll über Bing nun noch präzisere Antworten liefern als zuvor.

Wer zukünftig eine Frage hat oder nach einer bestimmten Information sucht, kann diese auf Bing per Sprachbefehl oder Tastatureingabe mit einer Fülle von bis zu 1.000 Zeichen an den Chatbot stellen. Dieser antwortet zwar noch nicht auf jede Anfrage und lässt häufig den klassischen SERPs den Vorrang, aber wenn, sind auch hier die Antworten erstaunlich. Sie erscheinen auf dem Desktop rechts neben den klassischen Suchergebnissen und in der mobilen Ansicht über allen anderen. Die Verdrängung der SERPs, wie wir sie kennen, hat also schon eingesetzt.

Das erste Fazit zur Integration von ChatGPT dürfte bei Microsoft durchweg positiv ausfallen. Neben der medialen Aufmerksamkeit sind die Downloads für Bing in den App-Stores seit dem Tag des Chatbot-Launchs am 07. Februar 2023 um das Zehnfache angestiegen und die täglich aktiven Nutzer/innen der Bing Suchmaschine haben sich etwa verdoppelt (Quelle: Apptopia). Damit liegt die Suchmaschine von Konzerngründer Bill Gates zwar nach wie vor weit hinter Google, aber die Kluft zwischen den beiden Tech-Giganten ist zumindest temporär deutlich geschrumpft.

Google antwortet mit Bard & NORA

Bildquelle: Google

Nur einen Tag nach dem Einstieg von ChatGPT in die Bing Suchmaschine, am 08. Februar 2023, konterte Google-Chef Sundar Pichai mit der Präsentation des Chatbots Bard. Dieser basiert auf dem KI-gestützten Sprachmodell für Dialoganwendungen „LaMDA“ und soll bereits ab März 2023 sukzessive Einzug in die Google Suche halten.

Aber das ist noch nicht alles. Mit NORA (No One Right Answer) wird eine zweite KI dem Chatbot Bard vorgeschaltet, die bei Fragen einspringt, bei denen eine klare Antwort nicht gegeben werden kann und stattdessen eine Auswahl mehrerer Antworten präsentiert. Die ersten veröffentlichten Bilder von Google zeigen die Antworten von Bard & NORA ganz oben in der Suche. Vor allen anderen SERPs und wie bei Bing auch vor den Werbeanzeigen.

Die ersten Tests, welche auch inhaltliche Fehler bzw. vom Chatbot kommunizierte Unwahrheiten zum James-Webb-Teleskop zutage brachten, entfachten die Debatte um von Maschinen verbreitete Fake News und veranlassten die Google-Verantwortlichen sogar davon zu sprechen, auch mit Blick auf Microsoft, dass die Zeit für eine grenzenlos in der Suchmaschine eingesetzte KI vielleicht noch nicht reif sei. Der „kontrollierte“ Einsatz der Chatbots sei hingegen keine Zukunftsmusik mehr, sondern Gegenwart.

Symbiose aus klassischen SERPs und Chatbots die Zukunft?

Sowohl auf Bing als auch auf Google präsentieren sich die Chatbots aktuell als Ergänzung zu den klassischen Suchergebnissen. Sofern die Antworten von ChatGPT oder Bard gegeben werden, was bei Weitem nicht bei allen Suchanfragen der Fall ist, sind diese zwar deutlich prominenter eingebunden als Ads oder herkömmliche Suchergebnisse, aber sie ersetzen diese nicht. Und das ist so bald auch nicht zu erwarten.

Bei rein informationalen Suchanfragen erhoffen sich die Suchenden in der Regel eine präzise Antwort und deswegen rücken die Chatbots dazu klar in den Vordergrund. Aber bei transaktionalen Anfragen, bei der Suche nach einem Produkt oder einer Dienstleistung, möchte die Mehrheit der Nutzer/innen Angebote vergleichen und bevorzugt eine Auswahl. Dafür sind die klassischen SERPs nach wie vor die bessere Antwort.

Aus diesen Gründen könnte die aktuell zu sehende Symbiose, aus den ausführlichen Infos des Chatbots und der altbewährten Auswahlliste der SERPs, die Zukunft sein. Die klassische Google Suche käme dann mehr einem Vergleichsportal gleich, was in erster Linie für monetäre Anfragen ausgespielt würde. Der Chatbot käme mehr und mehr dem Informationsbedürfnis von Nutzer/innen nach.

Chatbots sind auch eine Chance für Advertiser

Wenn die Chatbots, wie aktuell bei Bing, vor allem zu informationalen Suchanfragen zum Einsatz kommen und sich deren Nutzung auch durchsetzt, aber zu transaktionalen Keywords weiterhin Ads und klassische SERPs im Fokus stehen, sollten Werbetreibende mit Google Ads oder Microsoft Ads das als Chance sehen.

Denn dann werden die Anzeigen bei der Suche nach Infos, fernab einer transaktionalen Intention, weniger prominent ausgespielt und entsprechende Anzeigenklicks, mit einer niedrigen Wahrscheinlichkeit auf eine Conversion, werden deutlich geringer ausfallen. Die Integration der Chatbots kann demnach indirekt den Streuverlust von PPC-Kampagnen auf Google & Bing reduzieren.

Das gleiche Szenario dürfte aber auch zu einem erhöhten Wettbewerb um transaktionale Keywords führen und ebenso zu schwächeren Klickrates. Denn wenn die Ads nach wie vor zu informationalen Suchbegriffen ausgespielt werden, aufgrund der prominent eingebundenen Chatbots aber nur noch ein sehr geringer Teil der Nutzer/innen darauf klickt, bleiben die Impressionen auf einem ähnlichen Niveau, während die Anzahl der Klicks sinkt.

Umsatz durch Google Ads bei 224 Milliarden $ pro Jahr

Bildquelle: Statista

Advertiser müssen also reagieren und sich Gedanken um angepasste SEA-Strategien machen, aber keine Sorgen um den Wegfall ihres etablierten Akquise- und Vertriebskanals. Nicht zuletzt, weil der Umsatz durch Google Ads seit der Einführung im Jahr 2000 stetig gestiegen ist und 2022 bei astronomischen 224 Milliarden US-Dollar lag (Quelle: Statista). Das macht fast 80 % der gesamten Einnahmen des Alphabets Konzerns aus, weshalb es sich Google gar nicht leisten kann, sein Advertising Programm dem Chatbot zu opfern.

Bei Microsoft sind die Einnahmen durch Ads auf Bing deutlich geringer und machen auch wesentlich weniger vom Kuchen aus. Trotzdem wird auch Microsoft nicht auf diese Umsätze verzichten wollen. Weshalb eine Symbiose aus Chatbots und klassischer Suchmaschine wahrscheinlich ist und sich in Sachen Suchmaschinenmarketing in absehbarer Zeit keine dramatischen Veränderungen ergeben sollten.

Was ändert das für die Suchmaschinenoptimierung?

Anders sieht es bei der Suchmaschinenoptimierung aus. Wenn nicht mehr die gelisteten Websites in der Suchmaschine alle Fragen des Lebens beantworten, sondern völlig unabhängig davon die Chatbots, wie relevant ist ein Ranking zu nicht transaktionalen Themen dann noch?

Selbst wenn die informationalen Rankings unter dem auf „Position 0“ platzierten Chatbot erhalten bleiben, was sind diese noch wert, wenn nur ein sehr geringer Teil der Nutzer/innen diese noch anklicken wird? Diese Frage stellt sich alleine schon deshalb, weil die für das Ranking nicht unwesentliche Klickrate der entsprechenden SERPs mit der Nutzung der Chatbots zunehmend in den Keller gehen dürfte.

SEO für informationale Themen demnächst obsolet?

SEOs müssen sich fragen, wie zeitgemäß die Produktion von Unmengen an Content sowie die Erstellung passender Landing Pages noch ist, wenn damit nur noch Rankings hinter einem Chatbot möglich sind, welcher den Großteil des informational gesteuerten Traffics abgreifen dürfte.

Zuletzt hat beispielsweise die großflächige Integration von relevanten FAQ zu einem informationalen Ranking Boost geführt. Armeen von SEOs haben deswegen jeden Mikrokosmos nach möglichen Fragen und Antworten umgegraben und auf jeder noch so kleinen Unterseite eigene FAQ untergebracht.

Aber werden die Suchmaschinen diese Fragen und Antworten von externen Websites zukünftig überhaupt noch ausspielen, wenn sie die Antworten dank ChatGPT oder Bard selbst geben können? Selbst wenn, warum sollten Nutzer/innen nach unten scrollen, um eine passende Antwort zu suchen, wenn der Chatbot ihnen diese direkt liefert und sie mit diesem noch in eine tiefergehende Diskussion einsteigen oder Anschlussfragen stellen können?

Die Antwort auf diese Fragen ist auch davon abhängig, ob und wie die Chatbots Quellenangaben machen werden und inwiefern es für Nutzer/innen noch interessant sein wird, diesen Quellen zu folgen. Auf Bing sind die Quellenangaben am Ende jeder Chatbot-Antwort verlinkt und werden auch mit Klarnamen angezeigt. Auf Google ist eine ähnliche Umsetzung geplant. Aber umso besser die Antworten der Chatbots ausfallen werden, umso irrelevanter werden die Quellen. Oder wer von euch hat bei Wikipedia immer auch die Quellenangaben gecheckt?

Ein mögliches Fazit: Alles neu und doch wie immer

Chatbots wie ChatGPT oder Bard werden die Suchmaschinen revolutionieren und auch unser alltägliches Verhalten im Web. Vielleicht werden wir schon sehr bald nicht mehr googeln, sondern chatten. Vieles wird sich verändern, möglicherweise sehr stark und höchstwahrscheinlich schneller als wir denken.

Aber seien wir ehrlich: Innerhalb der letzten 25 Jahre, seitdem Suchmaschinenmarketing und Suchmaschinenoptimierung ein Thema sind, wurden sämtliche Best Practices schon tausend Mal über Bord geworfen. Einst in Stein gemeißelte Gesetzmäßigkeiten der Branche werden heute müde belächelt und die Oberflächen von Tools oder die heißen Trends wechseln gefühlt täglich.

Dass alles mal wieder neu ist, sich ständig etwas gravierend verändert und wir andauernd dazulernen müssen, ist für viele von uns alles andere als neu. Genau das macht aus meiner Sicht den Job eines SEOs, eines PPC-Managers oder einer Social-Media-Beraterin gleichermaßen so anspruchsvoll und so spannend. Erfolgreiche Kampagnen schalten oder zielführende Rankings erreichen, werden in Zukunft nur diejenigen können, die nah am Puls der Zeit sind und mit der Entwicklung Schritt halten. Aber auch das ist nichts neues;)